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rot lackierte Holzstufen vor einem weiß gestrichenen Holzhaus mit Eingangstür

„Das Büro wird Teil der Nachbarschaft werden“: Ein Gespräch mit Städteforscher Richard Florida

Die Pandemie hat sich in vielerlei Hinsicht als Trendbeschleuniger erwiesen, die Digitalisierung sämtlicher Branchen und Lebensbereiche hat in Europa wie in Amerika einen enormen Schub erfahren. Welche Auswirkungen hat das auf den urbanen Raum? Und wie wird sich diese Entwicklung auf das Zusammenspiel von Arbeiten und Wohnen im Städtischen auswirken?

Um Antworten auf diese Fragen zu finden, hat combine Geschäftsführerin Dr. Sandra Breuer den amerikanischen Sozialwissenschaftler Richard Florida getroffen. Der renommierte Städteforscher hat mit seinem Buch „The Rise of the Creative Class“ (2003) den Begriff der „kreativen Stadt“ maßgeblich mitgeprägt und die politische Agenda zahlreicher Metropolen beeinflusst. Er gilt als einer der wichtigsten Vordenker zu den Themen Urbanisierung und Wirtschaftstrends.

 

Sandra Breuer: Im letzten Sommer sagten viele noch den Tod der Büros und das Ende der Städte voraus. Ich würde behaupten, heute wissen wir es besser. Was ist ihre Einschätzung dazu?

Richard Florida: Zu Beginn der Pandemie gab es tatsächlich diese Art von sehr düsterem Denken, besonders in Bezug auf Großstädte wie New York, London oder San Francisco, die stark von der Pandemie betroffen waren. Wenn wir den Verlauf der Urbanisierung aus einer historischen Perspektive betrachten, sehen wir jedoch, dass Pandemien und Infektionskrankheiten diesen Prozess nie maßgeblich beeinflusst haben. Selbst nach den immer wiederkehrenden Cholera-Epidemien oder den großen Seuchen in Europa, die in manchen Städten zwischen 30 und 50 Prozent der Bevölkerung getötet haben, stürmten die Menschen in die Städte zurück. Das zeigt: Städte sind ziemlich widerstandsfähig.

SB: Also sind Abwanderungen aus den großen Metropolen nur ein vorübergehendes Phänomen?

RF: Bei der extremen Entwicklung in Städten wie New York oder San Francisco kamen offensichtlich mehrere Faktoren zusammen. Einerseits lässt sich der starke Bevölkerungszuwachs in den Jahren vor der Corona-Krise in diesen und ähnlichen US-Städten größtenteils auf junge Menschen zurückführen. Diese sind während der Pandemie oft zu ihren Familien zurückgefahren. Außerdem haben viele ältere und schutzbedürftige Menschen diese Städte aus Angst vor COVID-19 verlassen.
Man muss aber auch bedenken, dass es für Familien in den USA sehr schwierig ist, in Großstädten zu leben – nicht nur wegen der hohen Kosten, sondern auch wegen des schlechten Zustands des lokalen Schulsystems.

Das ist übrigens kein neues Phänomen, und viele haben die Möglichkeit des mobilen Arbeitens genützt, um aus den Städten raus zu kommen und ins Hinterland von New York oder San Francisco zu ziehen. Und die Zahlen zeigen, das sie dabei oft die traditionellen Vorstädte übersprungen haben und in sehr ländliche Gebiete gezogen sind.

SB: Wie werden sich Büros nach der Pandemie verändern, welche Rolle werden sie in Zukunft spielen?

RF: Ich denke auch hier können wir sagen, dass die Pandemie Trends beschleunigt hat, die schon seit längerer Zeit sichtbar waren. So ist schon seit Jahren die Rede vom „Tod der Innenstädte“. Und wir wussten bereits, dass das Comeback der Städte nicht von den Geschäftsvierteln, sondern von der Anziehungskraft der angrenzenden Amüsier- und Erholungsvierteln ausging. Das gilt übrigens auch für europäische Städte.

Dem kommt natürlich die Erkenntnis hinzu, dass ein bedeutender Teil der Arbeit, die bisher in den großen Bürotürmen in den Innenstädten erledigt wurde, auch örtlich flexibel erledigt werden kann. Diese Einsicht ist allerdings nicht gleichbedeutend mit dem Ende, sondern mit einer Neuerfindung des Büros und des Büroviertels. Und ich denke, das ist der wichtige Punkt: Die Leute werden nicht mehr ins Büro gehen, um Dinge abzuarbeiten, sondern wegen der sozialen Interaktionen. Diese Transformation kennen wir ja schon aus den Co-Working Spaces. Ältere Büros mit überwiegend verzimmerten Strukturen werden dadurch zunehmend unter Druck geraten.

SB: Wird diese Entwicklung also auch klassische Büroparks in den Vorstädten betreffen? Sind diese nicht eher das Sinnbild monoton verzimmerter Bürotristesse, die sie ansprechen?

RF: Ja und nein. Der andere zentrale Faktor neben dem Nutzungskonzept ist die Lage. Ich habe in dieser Zeit mit vielen Büroentwicklern in den USA gesprochen: Sie alle haben mir bestätigt, dass ihre Büroparks in den Vorstädten voll ausgebucht sind – die in den Innenstädten sind es nicht. Ich denke, ein zentraler Grund dafür ist die Angst vor dem Pendeln. Die Menschen fürchten sich immer noch vor der Pandemie, und man sieht zum Beispiel in Australien, dass diese Angst lange nachwirkt. Das wird auch in Europa so sein – wird aber irgendwann vergehen.

Der wichtige Punkt ist, dass das zentrale Geschäftsviertel in eine echte Nachbarschaft umgewandelt werden muss, in der Arbeiten, Leben und Freizeit nebeneinander existieren. Das Büro wird also kein einzelnes Gebäude, sondern in einer Nachbarschaft integriert sein. Und die Kehrseite davon ist, dass viele Bürofunktionen in Zukunft dezentralisiert sein werden. Es wird also große Chancen für sogenannte Satellitenbüros geben. Nicht dem traditionellen Büropark, sondern etwas urbaneres, mit Restaurants, Cafés und Kultur.

 

SB: Welche Rolle spielt dabei die Zunahme von mobilem Arbeiten, insbesondere im Homeoffice?

RF: Die Anzahl der Mitarbeiter, die überwiegend von zu Hause arbeiten, wird nach der Pandemie von etwa fünf bis zehn Prozent auf etwa 20 Prozent gestiegen sein. Dieser Trend wird sich fortsetzen, wobei es innerhalb eines Paares oder einer Familie viele mögliche Konfigurationen geben wird. Und einige werden diese Möglichkeiten nutzen, um aufs Land zu ziehen. Das ist ein klarer Trend bei jungen Kreativen, der sich nicht nur in den USA, sondern auch in den Niederlanden, Deutschland oder der Schweiz, ja selbst in Südeuropa abzeichnet. Dabei kommt Europa natürlich zugute, dass es über ein dichtes Netzwerk an Dörfern verfügt, die für Kreative eine stärkere Anziehungskraft als beliebige suburbane Schlafstädte haben.

Diese Gruppen suchen nach Möglichkeiten, die Vorzüge von Stadt und Land zu kombinieren. Daher denke ich, dass die andere Möglichkeit für das Büro darin besteht, diese abgelegenen Dörfer in Arbeitsplätze umzuwandeln. Dabei sollten diese Zentren mehr als reine Arbeitsorte sein, und eher als Hubs für Gemeinschaft, Arbeit und Wohnen funktionieren. Das ist übrigens eine Entwicklung, die auch Büroparks aus den Fünfzigern und Sechzigern betreffen wird. Es gibt hier tolle Beispiele, die von europäischen Architekturikonen wie Marcel Breuer entwickelt wurden, mit viel Grün und hoher Bauqualität. Diese Orte werden Büroentwickler mit Wohnraum integrieren, und in der Mitte Büroplätze für Remote Work sowie Kulturräume, Maker-Spaces und Gastronomie schaffen.

SB: In Anbetracht dieser Entwicklungen: Was ist ihre Empfehlung für Stadtplaner oder Entwickler? Lohnt es sich noch Büros zu bauen, und wenn ja, welche Art von Büros?

RF: Das Büro wird es auch in Zukunft geben, aber es wird nicht das Büro unserer Eltern sein. Es wird definitiv eine neue Art von Büro, sowohl in Bezug auf das Innendesign als auch auf das Gebäude selbst. Das wichtigste wird nicht der Arbeitsbereich, sondern die Interaktionszone sein. Sie können sich jeden Bürobesuch in Zukunft wie eine kleine Geschäftsreise vorstellen, in der ich viele persönliche Meetings absolviere, mich vielleicht mit jemanden auf einem Café treffe, und nebenbei noch etwas Stillarbeit erledige.

SB: Sie sprachen neulich auch vom Büro als „Flagship Store“ des Unternehmens.

RF: In Bezug auf das Innendesign denke ich, dass das Büro der Zukunft eher wie eine großzügige Hotellobby wirken wird. Ich denke, wir erleben aktuell eine Revolution in den Arbeitsbereichen, die zu einer stärkeren Kombination von Büro und Hospitality führen wird. Der Aspekt des Erlebens und der Gemeinsamkeit wird zentral.

Und natürlich muss das Büro ein Markenstatement sein. Das “Flagship Büro“ muss also ein Ort sein, der der Welt sagt: „Wir sind ein wirklich interessantes Unternehmen, wir kennen uns aus, wir wissen was Sie wollen, und hier zeigen wir, was wir anbieten können, wofür wir stehen“.
Dafür eignen sich Gebäude mit Geschichte sehr gut – der alte Spruch von Jane Jacobs der besagt, dass „neue Ideen alte Gebäude“ erfordern, ist hier in vielerlei Hinsicht noch aktuell. Das ist auch ein Vorteil für Europa.

 

SB: Wie wird sich das auf den öffentlichen Raum auswirken?

RF: Das Büro wird sich zur Straße öffnen. Das lässt sich schon heute daran ablesen, wie die Außenbereiche von Cafés oder Restaurants als Arbeitsräume genützt werden. Im Design wird das dazu führen, dass Bürogebäude mit mehr Terrassen und Außenbereichen ausgestattet sein werden. Und natürlich mehr Grün: Natur und Nachhaltigkeit werden eine zentrale Rolle spielen.

Das heißt übrigens auch, dass wir weg vom Konzept der Zonierung, also der strikten Trennung von Wohnen und Arbeiten, hin zu einer stärkeren Durchmischung der Funktionen müssen. Ein Beispiel ist das Finanzviertel von New York, das nach den Anschlägen vom elften September nicht mehr als reines Büroviertel, sondern zunehmend auch als Wohnviertel entwickelt wurde. Und natürlich beobachten wir auch eine Zunahme verschiedener Formen von temporärem Wohnen für Professionals, wie Clubs, Boarding Houses oder möblierten Apartments, die in Zukunft auch über Tagungsräume oder Co-Working Spaces verfügen werden.
Zusätzlich kommt heute eben dieser soziale Aspekt hinzu: Das Büro muss auch was bieten können, das über die Arbeit hinausgeht. Das können Gruppenfitnessaktivitäten, Weiterbildungsmöglichkeiten oder Events sein.

SB: In Deutschland ist die aktuelle Praxis in der Stadtplanung von der Durchmischung, die sie ansprechen, leider noch weit entfernt.

RF: Ich denke, das wird sich ändern müssen, wenn Städte wettbewerbsfähig bleiben wollen. Deutschland hat den Vorteil, dass es in urbaner Hinsicht bereits stark dezentralisiert ist. In Hinblick auf Stadtentwicklung werden Planer darauf achten müssen, architektonisch bedeutsame Orte zu erschaffen. Als ich vor 20 Jahren „The Rise of the Creative Class“ schrieb und Mitglieder der „kreativen Klasse“ danach fragte, wo sie wohnen wollten, sagten sie mir: „Wir wollen an großartigen Projekten mit großartigen Menschen in großartigen Räumen und an großartigen Orten arbeiten“. Das ist heute immer noch so.

SB: Herr Florida, vielen Dank für das spannende Gespräch!