Das Büro als Dienstleister des Menschen
Wir brauchen zukunftsfähige Konzepte für ein neues Selbstverständnis. Ein Interview mit Nina Neuwinger, Senior Consultant bei combine.
Immer mehr Firmen wollen ihre Büroflächen reduzieren oder haben das bereits getan. Umfragen zeichnen ein klares Bild: Die Bürolandschaft in Deutschland verändert sich. Hat das Büro deshalb ausgedient?
Was müssen Unternehmensstandorte bieten, um weiterhin attraktiv zu bleiben? Und lohnt sich der Aufwand überhaupt? Wir haben mit der Wirtschaftspsychologin Nina Neuwinger, Senior Consultant bei combine, über das Büro der Zukunft gesprochen.
Q: Verwaiste Büroräume. Flächen, die einfach nur kosten. Unattraktive Standorte, an denen sich niemand mehr wohl fühlt. Ein ziemlich düsteres Szenario für Unternehmen in Deutschland. Sieht so tatsächlich die Zukunft aus?
Nina: Nein. Die Zukunft kann völlig anders aussehen – sie muss es sogar. Aktuell besteht die einmalige Chance, aus Büroflächen mehr zu machen denn je: Unternehmensstandorte als lebendige kulturelle Zentren. Büros als identitätsstiftende Bezugspunkte. Die analoge Arbeitsumgebung als vielfältiger Begegnungs- und Handlungsraum, in dem Menschen – sowohl persönlich als auch im Team – unterstützt und vorangebracht werden.
Q: Aber wie kann das gelingen? Wie muss ein zukunftsfähiges Arbeitsumfeld gestaltet sein? Und warum sollten sich Unternehmen die Mühe machen?
Nina: Auf den ersten Blick sprechen die Zahlen eine klare Sprache. Die durchschnittliche Arbeitszeit im Homeoffice wächst rasant. Deutschlandweit und Branchen-übergreifend ist sie Anfang 2023 bereits auf 1,4 Tage pro Woche gestiegen. 25 Prozent aller Beschäftigten arbeiten regelmäßig im Homeoffice. Die Digitalisierung hat im Zuge der Corona-Pandemie neue Freiräume eröffnet und die Arbeitswelt dauerhaft verändert. Arbeitnehmer:innen schätzen die höhere Produktivität, die Gesamtzufriedenheit mit der Arbeitssituation hat im Zuge der Flexibilisierung deutlich zugenommen. Hybrides Arbeiten ist in den meisten Bereichen gelebte Realität.
Q: Ist das Büro also doch ein Raum ohne Zukunft?
Nina: Ganz im Gegenteil. Das Büro bleibt als kulturelles und produktives Zentrum für Unternehmen unverzichtbar. Denn Kreativität, Teamarbeit und Wissensaustausch funktionieren am effektivsten im persönlichen Kontakt. Gemeinsame Orte stiften Identität, sie fördern gemeinsame Werte. Im analogen Raum wird das Gefühl von Vertrauen und Nähe gestärkt. Das Büro bietet die Möglichkeit zum Austausch, zu Feedback und Hilfestellung im Team.
Gleichzeitig müssen nutzerzentrierte Büroräume aber auch persönliche Häfen sein, die Raum für eigenständiges Arbeiten bieten und die individuellen Bedürfnisse von Teams und Einzelpersonen optimal unterstützen. Geht es um die zukünftige Gestaltung von Büroflächen, wird dieser Aspekt häufig vernachlässigt. Das Gefühl von Zugehörigkeit und Nähe ist für den Menschen als soziales Wesen ebenso zentral wie die Möglichkeit der persönlichen Abgrenzung zu anderen. Beide Grundbedürfnisse spielen bei der Gestaltung zukunftsfähiger Büroflächen eine wichtige Rolle.
Q: Welche konkreten Werkzeuge gibt es, um ein Büro attraktiv zu machen?
Nina: Genuss verbindet. Das ist zum Beispiel ein Grundsatz, der sich strategisch nutzen lässt. Gemeinsame Genussmomente und attraktive Gemeinschaftsflächen sorgen dafür, dass Menschen gerne ins Büro kommen, um Gutes miteinander zu teilen. Eine hervorragend ausgestattete Küche oder eine Barista-Bar mit frisch geröstetem Kaffee können als Anziehungspunkte dienen.
Auch die menschliche Sehnsucht nach der Natur kann aufgegriffen werden. Natürliche Gestaltungselemente wirken sich positiv auf Produktivität und Wohlbefinden aus. „Biophilic Design“ nutzt dieses Potenzial und lässt natürliches Licht, Pflanzen und Materialien wie Holz, Wolle, Leder und Naturstein Einzug ins Büro halten. Auch Farben, Natur-Geräusche, etwa Vogelstimmen, sowie wechselnde Bodenbeläge lassen sich nutzen, um eine einladende und spannende Atmosphäre zu kreieren.
Es ist immer ein ganz individuelles Look-and-feel, das sich im Laufe des Prozesses gemeinsam mit den Menschen in einem Unternehmen herauskristallisiert. Wir haben für unsere Kund:innen schon Projekte umgesetzt, in denen zum Beispiel die Verbundenheit mit einer Stadt oder einer Region aufgegriffen wurde, um innerhalb des Büros Bezugspunkte zu schaffen und Identifikation zu stiften.
Geht es um den Aspekt der Abgrenzung, können etwa persönliche Schließfächer mit der Möglichkeit zur individuellen Gestaltung sowie eine stark an Teams orientierte Anordnung und Ausstattung bestimmter Arbeitsplätze, Flächen und Räume wirkungsvolle Maßnahmen sein.
Q: Das klingt nach vielen spannenden Möglichkeiten. Aber ist jedes Tool in jedem Unternehmen gleichermaßen sinnvoll?
Nina: Nein. Zukunftsfähige Bürokonzepte müssen auf Menschen, Orte und Absichten abgestimmt werden. Sie sind damit so individuell wie jedes einzelne Unternehmen selbst. Die Nutzer:innen-Orientierung steht an erster Stelle. Generell lässt sich vielleicht sagen, dass moderne Büros in der Lage sein sollten, Wohlfühlmomente zu schaffen und Menschen bedarfsorientiert zu unterstützen. Sie müssen hybride Handlungsräume offen halten, die Werte eines Unternehmens nach innen und außen spiegeln und künftige Herausforderungen, etwa das lebenslange Lernen, fördern. Statt pauschaler Schlagworte wie „Co-Working-Space“ oder „Bällebad“, statt eines „superinnovativen Designs“ oder einer „offenen Gestaltung“ ist die Menschen- und Tätigkeits-orientierte 360-Grad-Perspektive unverzichtbar.