Ausschnitt eines Fotos von einer weiß gefliesten Wand mit einem weißen Plastikstuhl und einem schmutzigen weißen Tisch

Bürolandschaft: damals ihrer Zeit voraus, heute relevanter denn je!

Als die Brüder Eberhard und Wolfgang Schnelle in den 1950er Jahren das Konzept der Bürolandschaft (englisch: office landscape) entwickelten, wollten sie damit eine neue Art der Arbeitsraumplanung etablieren: partizipativ, flexibel, anpassungsfähig.  Mit ihrem, in den 60er Jahren gegründeten, Beratungsunternehmen Quickborner Team Gesellschaft für Planung und Organisation mbH (QT), dem Vorläufer von combine, gelang ihnen die Etablierung einer nachhaltig erfolgreichen Alternative zum amerikanischen Großraumbüro.

Durch eine detaillierte Analyse von Arbeitsabläufen und Mitarbeiterbewegungen und unter Berücksichtigung der neuesten Managementtheorien sollte der Arbeitsplatz revolutioniert werden.

Die renommierte Zeitschrift ARCH+ zitierte in einem Symposium aus dem Jahr 2007 die QT-Bürolandschaft als einen der „wenigen international ausstrahlenden Beiträge der deutschen Architektur nach dem Zweiten Weltkrieg“. Die Bürolandschaft sei als „Reaktion auf die sich ankündigende Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft“ zu verstehen.

Bei ihrer Arbeit stützten sich die Brüder Schnelle auf Erkenntnisse aus der Kybernetik und Systemtheorie, die sich auf die Konzeptualisierung komplexer Organismen und Systeme fokussierten. Die Schriften relevanter Theoretiker, wie Kurt Alsleben und Helmar Frank, wurden im eigens hierzu gegründeten Verlag Schnelle publiziert. Inzwischen gilt die Kybernetik als theoretischer Wegbereiter der modernen Informationsgesellschaft.

Was bleibt heute von den visionären Ideen der Bürolandschaft? Wo sind ihre Spuren noch erkennbar – und erlebt sie im Zeitalter der digitalen Arbeit gar eine Renaissance? Wir haben fünf Aspekte moderner Arbeitswelten unter die Lupe genommen, die von der erstaunlichen Aktualität des Bürolandschaft-Konzepts zeugen.

Flexibilität

Ein großer Vorteil der Bürolandschaft war ihre schnelle Anpassungsfähigkeit, die auch für eine erhebliche Optimierung der Kosten sorgte: Offene Grundrisse, organisiert durch leicht verschiebbare Trennwände und Elemente wie Topfpflanzen, konnten mit wenigen Eingriffen neu geordnet werden, um geänderten Anforderungen Rechnung zu tragen. Seit dem Durchbruch des digitalen Arbeitens steht diese Flexibilität wieder im Mittelpunkt und kann wohl als ein wichtiger Faktor in der Wiederentdeckung der Bürolandschaft gelten.

In tiefer Nacht steht ein Mensch auf einer Weide mit Baum und blickt auf verschwommene Sterne und Lichtkreise
Vergilbte alte Skizze einer Großraumbürofläche mit zahlreichen Einzeltischen die eng beieinander stehen
Bild links: Fordwerke, Köln, 1965-66: Planung Bürolandschaft und Mobiliarordnung

Aktivitätsbasiertes Arbeiten

Die Idee, dass sich die Konfiguration des Arbeitsplatzes je nach Tätigkeit immer wieder neu ändern kann, war für die 50er- und 60er Jahre revolutionär. Heute erscheint sie selbstverständlich und ist ein zentrales Element agiler Arbeitswelten. Während ursprünglich Papier-basierte Prozesse optimal im Raum abgebildet wurden, stehen heute die Vielfalt der Tätigkeiten sowie die Interaktion und Kommunikation im Unternehmen im Fokus.

Flache Hierarchien

Ein Merkmal des Bürodesigns der Schnelle-Brüder war der Wunsch, die Strukturen der Arbeitswelt zu demokratisieren. Während diese Tendenz ursprünglich den traumatischen Erfahrungen der Diktatur und des 2. Weltkriegs geschuldet war, passt dieser Ansatz jetzt hervorragend zu den Ideen der New-Work Arbeitskultur im 21. Jahrhundert. Der effiziente Austausch von Informationen ist dabei ein weiterer Aspekt, der die Idee der flachen Hierarchien prägte und von den Grundprinzipien der Kybernetik inspiriert wurde.

Altes Foto eines Großraumbüros aus den Sechziger Jahren
Bild rechts: Fordwerke, Köln, 1965-66: QT-Bürolandschaft
Vor einer Wand aus zahlreichen Grünpflanzen hängt ein pinkfarbenes Neonschriftschild mit dem Wort breathe

Wellbeing

Die Bürolandschaft stellte das Wohlbefinden der Mitarbeiter:innen in den Mittelpunkt und brach somit bewusst mit der tayloristischen Arbeitskultur, die auf eine kompromisslose Optimierung der Arbeitsverläufe zielte. In diesem Zusammenhang wurde von einem Versuch der „Humanisierung der Arbeit“ gesprochen. Heute erscheint uns die Idee, dass gesunde und zufriedene Mitarbeiter:innen besser arbeiten als solche, die müde und gestresst sind, als selbstverständlich – nicht so in den 60er Jahren.

Digitalisierung

Insgesamt lässt sich die Renaissance der Bürolandschaft wohl am besten durch die zunehmende Digitalisierung der Arbeitswelt erklären: Beide Phänomene haben ihre Grundlage in den Prinzipien der Kybernetik, die sowohl das philosophische Grundgerüst für die Informatik-Revolution als auch für die Transformation des Arbeitsplatzes bildete. Der heutige Arbeitsplatz ist aus der Interaktion dieser beiden Strömungen entstanden. In diesem Sinne war die Bürolandschaft ihrer Zeit voraus und kann heute durch die technischen Möglichkeiten ihr volles Potenzial entfalten.

Makroaufnahme einer Platine

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